Ion Popa
Fortunoff Research Fellowship (02/2019–09/2019)
Konversion und Identität. Erfahrungen von zum Christentum konvertierten Juden vor und während des Holocausts
Zahlreiche Forschungen der letzten zehn Jahre zur Einstellung der christlichen Kirchen gegenüber den Juden während des Holocaust verdeutlichen das Ausmaß, in dem Juden in Frankreich, Polen, Belgien, Ungarn und Rumänien zum Christentum konvertierten, um Verfolgung und Ermordung zu entkommen. Für Rumänien, das Land mit der drittgrößten jüdischen Bevölkerung in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, zeigt zum Beispiel die Volkszählung von 1942, dass von 272.573 Juden 4.631 zum Christentum konvertiert waren. Und trotz der im März 1941 ausgesetzten Möglichkeit zu konvertieren, konvertierten noch zwischen 1941 und 1943 weitere 2.008 Juden – die meisten zum Katholizismus. In Frankreich, Belgien, den Niederlanden oder Polen war die Praxis der Konversion zum Katholizismus oder Protestantismus ebenso gang und gäbe, wobei Kirchenübertritte in katholischen Ländern häufig von Kontroversen begleitet waren, da jüdische Kinder, die in Klöstern Schutz gefunden hatten, oft zwangsweise getauft wurden. In Ungarn wurden noch 1944 gefälschte Taufscheine ausgestellt, um Juden zu helfen, die unmittelbar von der Deportation bedroht waren.
Obwohl man inzwischen mehr über die Einstellung der christlichen Kirchen zu Konversion und konvertierten Juden weiß, ist noch immer sehr wenig über die Reaktion jüdischer religiöser Obrigkeiten oder über die Erfahrungen der Konvertiten selbst bekannt. Dies lässt sich zum Teil auf fehlende Zeugenaussagen von Holocaustüberlebenden zurückführen, die zum Christentum konvertiert waren. So gesehen ist das Fortunoff-Archiv eine ausgezeichnete Quelle, da in seinen Beständen mehr als siebzig solcher Interviews zu finden sind. Eine nähere Untersuchung dieser Zeugenaussagen kann so die entscheidenden Fragen zu dieser oft vergessenen Kategorie von Holocaustüberlebenden beantworten: Wie wurden die jüdischen Konvertiten von den jüdischen Gemeinden bzw. den christlichen Religionsgemeinschaften während des Holocaust behandelt? Mit welchen Dilemmata, vor allem was ihre Identität betraf, waren sie konfrontiert? Konnten sie wieder zum Judentum zurückkehren und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Im Rahmen des Forschungsvorhabens werden alle relevanten Interviews im Fortunoff-Archiv untersucht, zusammenfasst und verglichen. Ziel ist es, die unterschiedlichen Gründe für eine Konversion zum Christentum während des Holocaust zu ergründen und diese in einen Kontext mit anderen Überlebensstrategien zu stellen. Ebenso werden die Identitätsdilemmata dieser Personengruppe analysiert und ihre Schicksale nach dem Holocaust in den Blick genommen.
Ion Popa ist Saul Kagan Claims Conference Postdoctoral Fellow in Advanced Shoah Studies (New York) und Honorary Research Fellow of the Centre for Jewish Studies, University of Manchester. Sein Forschungsschwerpunkt sind die jüdisch-christlichen Beziehungen in Osteuropa während des Holocaust. Seine jüngsten Veröffentlichungen: The Romanian Orthodox Church and the Holocaust und der Beitrag The 7th Rosiori Regiment and the Holocaust in Romania and the Soviet Union in der Zeitschrift Dapim. Studies on the Holocaust.