Interventionen
Seit den 1980er-Jahren ist die Gedächtnispolitik und die zentrale Stellung des Holocaust darin zu einer globalen kulturpolitischen Debatte geworden. Ausgelöst von populären Produkten wie TV-Serien, der Gründung von Holocaust-Museen und Errichtung von Gedenkstätten und Mahnmalen, von Dokumentationen, Spielfilmen, Theaterstücken sowie Ausstellungen wurde und wird die Frage nach Sinn und Form der Erinnerung an den Holocaust bzw. nach deren Möglichkeiten und Grenzen höchst kontrovers erörtert.
Das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) versteht seinen Vermittlungsauftrag als Aufgabe, den gedächtniskulturellen, den medienanthropologischen sowie den diskursiven Hintergrund popularer Erinnerungen an den Holocaust und andere Genozide auch für sein Publikum transparent zu halten. Dabei soll versucht werden, Materialität und Akt der Erinnerung selbst zum Thema und zum Problem der Vermittlung zu machen. Dies wird einerseits über die wissenschaftliche Debatte und Räsonnement erfolgen, andererseits soll die Fragestellung auch in verschiedensten Kontexten experimentell, im Rahmen von Interventionen im öffentlichen Raum erprobt werden. Dafür sollen auch Künstlerinnen und Künstler eingebunden werden.
rÆson_anzen
Nachklänge, Erinnerungen und Nachwirkungen – Resonanzen – sind in der Regel emotional besetzt, gefühlsbetont und individuell. Ziel dieser Veranstaltungsreihe ist es daher, jenseits von den heute vieldiskutierten ‚Echoräumen’ der sozialen Medien wieder ins Gespräch zu kommen und gerade an den Übergängen zwischen lebendiger Erinnerung, kollektivem Gedächtnis und wissenschaftlicher Analyse, dem gemeinsamen Überlegen und Reflektieren – kurz dem Räsonieren – einen Raum zu bieten: Unterschiedliche Aspekte, Zugänge und Annäherungen zu den Forschungsfeldern des VWI sollen hier ausgelotet, intergenerationelle Gespräche ermöglicht werden, nachfragen, grübeln und zweifeln erlaubt sein – oder frei nach Bertolt Brecht bzw. Marcel Reich-Ranicki: „Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.
Intervention | |||
„Ich bin einer der 500 von 150.000“. Simon Wiesenthal im Interview | |||
Sonntag, 16. Februar 2020, 15:30 - 18:00 Österreichisches Filmmuseum, Augustinerstraße 1, 1010 Wien
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Elf Stunden an sechs Nachmittagen Ein alter Mann erzählt, spricht in die Kamera: vor ihm ein Tisch, hinter ihm ein Bücherregal. Sowohl er als auch das Aufnahmegerät werden sich Stunden lang kaum bewegen. Aus dem Off stellt jemand hin und wieder Fragen, greift aber nur selten in den Erzählfluss ein. Alle halben Stunden wird das Gespräch unterbrochen, ein neues Band eingelegt, technische Durchsagen verlautbart, das Interview fortgesetzt: Simon Wiesenthal erinnert sich. Über fünf Tage interviewte im November 1997 Albert Lichtblau für die ZeitzeugInnensammlung der USC-Shoah Foundation jenen Menschen, dessen Unermüdlichkeit, Ausdauer und Hartnäckigkeit, die TäterInnen des NS-Massenmordes an Jüdinnen und Juden vor Gericht zu bringen, zum Inbegriff geworden ist, den Millionen Opfern der NS-Diktatur Gerechtigkeit zukommen zu lassen: „Recht, nicht Rache“, so sein Credo – und dies lange gegen den Widerstand breiter Teile der postnazistischen Gesellschaften, nicht nur in Österreich. Das Schweigen zu brechen, den Opfern eine Stimme zu geben, bleibt sein Verdienst – als einer der 500 Überlebenden der 150.000 Lemberger Jüdinnen und Juden. Es ist nicht gerade leicht, dem Bogen zu folgen, den der damals 89-jährige von den Jahren an der äußersten Peripherie der Doppelmonarchie, einer jüdischen Identität, über eine Jugend im nunmehr polnischen Galizien, Studium in Prag, Arbeiten in der Sowjetunion, Verfolgung und Überleben in NS-Deutschland bis hin zu seinem Kampf für Gerechtigkeit und gegen das Vergessen nach 1945 in Österreich spannt. Simon Wiesenthal erzählt seine Geschichte manchmal schalkhaft, manchmal lachend, manchmal bewegt, bedrückt und voller Trauer, mit Tränen in den Augen: Müdigkeit oder gar Erschöpfung sind ihm dabei nicht anzusehen, vielleicht manchmal etwas Ungeduld – als habe er Wichtigeres zu tun, als sein Leben zu erzählen, als habe er noch viel zu erledigen: „Man hätte 100.000 solcher Büros gebraucht“, wird er am Ende des Gesprächs etwas resigniert über den Erfolg seiner Arbeit sagen. Dieses historische Interview ist an sechs aufeinanderfolgen- den Sonntagnachmittagen, in sechs Teilen in voller Länge zu sehen. ExpertInnen und WeggefährtInnen vertiefen nach der Präsentation in einem Gespräch das Erzählte, steuern Selbsterlebtes, Wissenschaftliches und Anekdotisches bei. Sonntag, 12. Jänner 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Sonntag, 19. Jänner 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Sonntag, 26. Jänner 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Sonntag, 2. Februar 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Sonntag, 9. Februar 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Sonntag, 16. Februar 2020, 15:30 Uhr, Filmmuseum Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei |
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