Der Zweite Weltkrieg war nicht nur durch NS-Massenverbrechen wie den Holocaust gekennzeichnet. Mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht aus den besetzten Gebieten ab Anfang 1943 entwickelten sich auch neue Konstellationen der Gewalt. Unmittelbar vor dem Zurückweichen der deutschen Truppen vor den alliierten Offensiven erschossen Besatzungskräfte Häftlingsgruppen in Lagern und Gefängnissen, organisierten todbringende Evakuierungen und ermordeten Menschen, die sie als „widerständig“ oder „unproduktiv“ erachteten. Schließlich breitete sich diese Form der Gewalt beim Rückzug auch auf das Gebiet Deutschlands und Österreichs aus. Sie richtete sich nicht nur gegen Häftlinge, sondern in zunehmendem Maße auch gegen Zwangsarbeitskräfte, Kriegsgefangene und schließlich gegen die „Volksgenossen“: Selbst gegenüber der eigenen Bevölkerung fielen zuletzt alle Hemmungen.
Auf der Konferenz werden Rahmenbedingungen und Faktoren dieser Typen finaler NS-Gewalt untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen militärischem Rückzug und Verbrechen an der Zivilbevölkerung, nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch auf anderen Kriegsschauplätzen. Welche Prozesse der Gewalt entwickelten sich dabei, inwieweit waren militärische Akteure involviert, welche Legitimationsstrategien für das Gewalthandeln zirkulierten? Wie gestaltete sich die Dynamik der Verbrechen im Raum mit der zunehmenden Vermengung verschiedener Opfergruppen, aber auch der Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, bis hin zu den nicht organisierten Teilen der Bevölkerung? Wie sah die Teilnahme an der Gewalt, aber auch ihre Begrenzung aus?
Crimes at War’s End. The Retreat of the Wehrmacht and the Final Phase of WWII
The crimes of Nazi Germany and its collaborators during the Second World War were not limited to the mass atrocities of the Holocaust. With the withdrawal of the German Wehrmacht from occupied territories in 1943, new forms of violence emerged. As German troops retreated from Allied offensives, occupying forces murdered groups of detainees in camps and prisons, organised deadly evacuations and killed people they considered “defiant” or “unproductive.” Eventually, this violence spread from the occupied territories to Germany and Austria as forces retreated. Crimes were committed not only against prisoners but increasingly against forced labourers, prisoners of war and finally against Volksgenossen (national comrades), i.e., their own populations. Any final inhibitions disappeared.
The conference will examine the nature and scope of Nazi crimes in the final months and weeks of the war. One focus will be the direct connection between military retreat and crimes against civilian populations in the Soviet Union as well as in other theaters of war. What forms of violence developed, to what extent were military actors involved, and what official and unofficial legitimisation strategies did they employ to defend their indefensible actions? How did the dynamics of mass atrocity take shape in a space where victim groups were increasingly intermingled and other social groups, including non-organised sections of the population, were involved? What did participation in such violence look like, and how was it limited?
Programm – Programme
Mittwoch, 9. April 2025 – Wednesday, 9 April 2025
10:00 Registration
10:30 Welcome
Jochen Böhler (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien – VWI)
Georg Hoffmann (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
Dieter Pohl (Universität Klagenfurt)
Kerstin von Lingen (Universität Wien)
11:00–11:15 Einführung – Introduction
Dieter Pohl (Universität Klagenfurt)
11:30–13:00
Erosion militärischer Strukturen – The Erosion of Military Structures
Chair: Richard Germann (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
11:30 Christian Stein (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg)
Die Wehrmachtsrückzüge an der Ostfront 1941–1945
11:50 Jürgen Kilian (Universität Bayreuth/TU Bergakademie Freiberg)
Erosion militärischer Strukturen und Dynamisierung von Gewalt – Der Rückzug der Wehrmacht aus dem Leningrader Gebiet (1943/44)
12:10 Bastiaan Willems (Lancaster University, United Kingdom)
From Belorussia to East Prussia: Wehrmacht conduct during the closing year of the Second World War
12:30 Diskussion – Discussion
13:00 Mittagspause – Lunch Break
14:00–16:00
Räumung von Gefängnissen und Konzentrationslagern – The Evacuation of Prisoners and Concentration Camps
Chair: Jochen Böhler (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien – VWI)
14:00 Katarzyna Woniak (Universtität Augsburg)
„Eine erschreckende Spur“. Morde an Gefängnisinsassen im deutsch besetzten Polen
14:20 Maximilian Becker (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin)
Die Evakuierung der Justizhaftstätten in den eingegliederten Ostgebieten
14:40 Marcin Owsiński (Stutthof Muzeum in Sztutowo, Polen)
Drei Phasen der Evakuierung des Lagers Stutthof (Januar–Mai 1945): Genesis – Ereignisse – Konsequenzen
15:00 Janine Fubel (FernUniversität in Hagen)
»Lager in Bewegung«: Die Evakuierung und Auflösung des Konzentrationslagers Sachsenhausen 1945
15:20 Diskussion – Discussion
16:00 Kaffeepause – Coffee Break
16:30–18:00
Rückzugsverbrechen (Ukraine, Finnland, Belarus) – Crimes during Retreat (Ukraine, Finland, Belarus)
Chair: Dieter Pohl (Universität Klagenfurt)
16:30 Johannes Spohr (Recherchedienst present past, Berlin)
Von der Besatzung zum Rückzug: Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs
16:50 Alexandra Birch (Columbia University in the City of New York)
A Mined and Drowned Land: Nazi Crimes Against the Indignous Skolt Saami during the Lapland War (1944–45)
17:10 Anne-Lise Bobeldijk (NIOD Institute for War, Holocaust and Genocide Studies, Amsterdam)
Kriegsendverbrechen or a Continuation of Violence? Redefining the Ozarichi Camps in Nazi-occupied Belarus
17:30 Diskussion – Discussion
19:00 Abendessen – Conference Dinner
Donnerstag, 10 April 2025 / Thursday, 10 April 2025
9:00–11:00
Tat und Täterschaft/ Motivationen/ Strukturen – Acts and Perpetrators/ Motivations/ Structures
Chair: Georg Hoffmann (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
9:00 Johannes Glack (Universität Wien)
Tätermotive bei NS-Endphaseverbrechen im heutigen Österreich am Beispiel der Massaker von Randegg und Göstling an der Ybbs im Bezirk Scheibbs/Niederösterreich
9:20 Nicole-Melanie Goll (Independent Researcher, Vienna)
Konzentration nationalsozialistischer Gewalt in der Provinz: Gewalthandlungen von Gestapo und Waffen-SS am Beispiel der Massenerschießungen in der SS-Kaserne Graz zu Kriegsende 1945
9:40 Michael Walther (Fachwerk: Museum Texte Konzeption, Vöhringen)
Delegation der Gewalt: Der Geilenberg-Stab und das Rüstungsprojekt „Wüste“
10:00 Martin Clemens Winter (Universität Leipzig)
Massengewalt inmitten der Gesellschaft: Die Todesmärsche und die deutsche Bevölkerung
10:20 Diskussion – Discussion
11:00 Kaffeepause – Coffee Break
11:30–13:00
Zivile Opfer, Kinder – Civilian and Child Victims
Chair: Philipp Rohrbach (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien – VWI)
11:30 Christoph Dieckmann (Frankfurt am Main)
Die vergessene Opfergruppe der zwangsevakuierten sowjetischen Zivilisten in Litauen 1943/1944
11:50 Yuliya Von Saal (Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin)
Kriegsendverbrechen an Kindern im besetzten Belarus (1943/1944). Das Lager „5. Regiment“ in Vicebsk als Experimentierfeld des Rückzugs
12:10 Johannes-Dieter Steinert (University of Wolverhampton, United Kingdom)
Die Deportation sowjetischer Kinderzwangsarbeiter beim deutschen Rückzug aus Osteuropa
12:30 Diskussion – Discussion
13:00 Mittagspause – Lunch Break
14:00–15:30
Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter:innen – Hungarian Jewish Forced Laborers
Chair: Regina Fritz (Universität Wien)
14:00 Borbala Kriza (Contracted Oral History Researcher, USHMM)
“I Will Never Forget the German Soldier’s Cold Blue Eyes” - Survivor and Witness Testimonies about Mass Killings in Western Hungary in March 1945
14:20 István Pál Ádám (Holocaust Memorial Center, Budapest)
The Figure of Imre Rubányi: The Doctor behind the Alleged Gassing of Hungarian Forced Laborers in Kőszeg in March 1945
14:40 Joana Krizanits (Independent Researcher, Vienna)
Organized Killings of Hungarian Jews on Austrian Territory in the Endphase of WWII
15:00 Diskussion – Discussion
15:30 Kaffeepause – Coffee Break
16:00–17:30
Spuren der NS-Zeit am Arsenal-Gelände – Traces of the National Socialist Period at Arsenal Sites
Geführter historischer Rundgang zu sicht- und unsichtbaren historischen Spuren des Nationalsozialismus und Kriegsendes am Gelände des Arsenals
Georg Rütgten (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
Das Arsenal 1945
Éva Kovács (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien – VWI)
Ungarisch-jüdische Zwangsarbeit im Objekt 12
19:00–20:30
„Eine Stunde History“ über Kriegsendverbrechen – „One Hour of History“ about the Crimes Perpetrated in the Final Phase of War
Live-Aufzeichnung des Geschichts-Podcast von Deutschlandfunk Nova im HGM
Aufgrund beschränkter Plätze bitten wir um Anmeldung über die Webseite des HGM: www.hgm.at
Freitag, 11. April 2025 – Friday, 11 April 2025
9:00–10:30
Rückzugsverbrechen/ Partisanenbekämpfung – Crimes during Retreat/ Partisan Warfare
Chair: Peter Pirker (Universität Innsbruck, kärnten.museum)
9:00 Michel Scheidegger (Universität Potsdam)
Der Blick in den Mikrokosmos: Frontverbände und Rückzugsverbrechen am Beispiel der 35. Infanteriedivision
9:20 Aiko Hillen (Universität zu Köln)
„Sehr störende Partisanenaktionen, die aber erfolgreich bekämpft wurden.“ Das Massaker von San Polo am 14. Juli 1944
9:40 Carlo Gentile (Universität zu Köln)
Zwischen Partisanenkrieg und Kaltem Krieg: Deutsche Repression und Verbrechen in der Endphase der Besatzung in Italien 1944/45
10:00 Diskussion – Discussion
10:30 Kaffeepause – Coffee Break
11:00–12:30
Zwangsarbeit, Deserteure, Gefangene – Forced Labor, Deserters, Prisoners
Chair: Kerstin von Lingen (Universität Wien)
11:00 Christine Glauning (Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin)
„Es ist in allen sich zeigenden Fällen sofort und brutal zuzuschlagen.“ Kriegsendverbrechen an zivilen Zwangsarbeiter:innen
11:20 Peter Pirker (Universität Innsbruck, kärnten.museum)
Rache an „Verrätern“ und „Saboteuren“. Der Umgang mit Deserteuren der Wehrmacht in der Kriegsendphase
11:40 Kateřina Portmann/Zuzana Cilerová (Technical University of Liberec, Czech Republic)
Vergangenheitspolitik: Umgang mit der Gewalt gegen Gefangene am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Fall Reichsgau Sudetenland
12:00 Diskussion – Discussion
12:30–13:00 Closing Remarks
Teilnahme – Attendance
Besuch der Simon Wiesenthal Conference: Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich.
Free admission to the Simon Wiesenthal Conference, no registration required.

Die SWC 2025 ist eine Veranstaltung des VWI und des HGM in Kooperation mit:
Mit der Teilnahme an dieser Veranstaltung stimmen Sie der Veröffentlichung von Fotos, Video- und Audioaufzeichnungen zu, die im Rahmen dieser entstehen.
|